Telefonische Beratung
Diakonie-Mitarbeiter helfen besorgten Eltern
Samstag, 28. Februar 2009 02:50
- Von Kirsten Schiekiera
Keine Lust auf Mathe! Der letzte Anrufer des
Elterntelefons spricht ein allgemein bekanntes Problem an. Sein
neunjähriger Sohn, so berichtet er, sei eigentlich ein guter Schüler.
Deutsch, Englisch, Sachkunde - alles kein Problem. Nur gegen Mathematik
scheint er eine ausgeprägte Aversion zu haben, die sich bereits mit
einer Vier minus auf dem ersten benoteten Zeugnis niedergeschlagen hat.
Der
Vater bittet um Rat. Er möchte wissen, was er tun kann, damit sein Sohn
mehr Lust auf das ungeliebte Schulfach bekommen kann. "Ich habe dem
Mann empfohlen, dass er mit dem Sohn zunächst einen Kinderpsychologen
aufsuchen sollte. Womöglich liegt bei dem Jungen ja eine Dyskalkulie -
eine angeborene Rechenschwäche - vor", sagt Yvonne Schuldt. "Außerdem
ist es sinnvoll, mit der Klassenlehrerin in Kontakt zu treten."
Kostenlose Hilfe für gestresste Eltern
Die
Diplom-Sozialpädagogin ist eine von zehn ehrenamtlichen Helfern des
ersten Berliner Elterntelefons, das seit November 2008 gestressten
Eltern anonyme und kostenlose Hilfe bietet. Ins Leben gerufen wurde
diese Beratung vom Diakonischen Werk Berlin.
Mehr als 40 000 Mal kamen die meist
ehrenamtlichen Mitarbeiter der deutschen Elterntelefone im vergangenen
Jahr zum Einsatz. Über eine bundesweit geschaltete "Nummer gegen
Kummer" konnten Berliner Eltern schon vorher Trost oder Unterstützung
in Erziehungsfragen finden - allerdings landeten sie dann bei einer
Beratungsstelle in Meißen. Jetzt werden die Anrufer aus dem Berliner
und Brandenburger Raum automatisch an die Diakonie-Mitarbeiter an der
Schönhauser Allee weitergeleitet. "Es hebt die Qualität der Beratung,
wenn die Mitarbeiter vor Ort sind", sagt Maria El-Safti-Jütte, eine der
hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werks und beteiligt an
der Einrichtung des neuen Elterntelefons. "In einer Stadt gibt es
andere Probleme als auf dem Land. Eltern sind beispielsweise oft
ängstlich, wenn ihre Kinder alleine U-Bahn fahren wollen oder Mitglied
in einem Sportverein in einem anderen Stadtteil werden möchten."
Das Team in der Schönhauser Allee betreibt seit
2002 das Kinder- und Jugendtelefon. "Wir bekamen immer wieder von den
Teenagern zu hören, dass Ihre Eltern sie überhaupt nicht verstehen und
keine Ahnung von ihren Sorgen und Nöten haben", sagt sie. "Irgendwann
kamen wir zu dem Schluss, dass ein Elterntelefon genauso wichtig ist,
wie ein Jugendtelefon."
Häufig stundenlange Gespräche
Der Raum,
in dem Yvonne Schuldt etwa dreimal im Monat ihren ehrenamtlichen Dienst
versieht, ist schlicht aber freundlich eingerichtet. An einer Wand
hängt ein buntes Poster mit einer Sonne und der Aufschrift "Let the
sunshine in", an einer anderen Wand steht ein Sofa, auf dem die Helfer
ausruhen können, wenn das graue Telefon gerade schweigt. Die Gespräche
mit den besorgten Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten dauern nicht
selten bis zu einer Stunde. Oft geht es um ganz alltägliche Fragen. Wie
lange darf eine 14-jährige mit Freundinnen ausgehen? Was kann man tun,
wenn sich ein Fünfjähriger nachts im Dunkeln fürchtet? Hin und wieder
erreichen die Mitarbeiter jedoch auch Anrufe, die selbst Profis wie
Yvonne Schuldt und Maria Jütte erschüttern. Vor kurzem berichtete ein
Mann von seinem Patenkind, einem 10-jährigen Mädchen, das regelmäßig
von seiner völlig überforderten Mutter misshandelt und vernachlässigt
wurde. Der Körper des Mädchens war mit blauen Flecken übersät, ihre
schulischen Leistungen hatten stark nachgelassen. Vor einigen Monaten
war der Vater des Mädchens bei einem Unfall gestorben, die Mutter litt
unter psychischen Problemen und verlor langsam die Kontrolle über ihr
eigenes Leben und den Haushalt.
"Der Anrufer war selbst Lehrer und sehr besorgt
- aber auch sehr vorsichtig", berichtet Yvonne Schuldt. "Er wollte dem
Mädchen unbedingt helfen, hatte aber Angst, dass sich die Lage
dramatisch verschlimmern könnte, wenn das Jugendamt eingeschaltet
wird." Der Rat der ehrenamtlichen Helferin an den verzweifelten Mann
war, dass er sich umgehend an ein Kinderschutz-Zentrum in der
unmittelbaren Nähe wenden sollte. "Dort kennen die Mitarbeiter die
Gegebenheiten vor Ort und können besser und gezielter beraten", sagt
sie.
Die Mitarbeiter des Elterntelefons verstehen
sich als erste Anlaufstelle in Notsituationen und verweisen häufig an
Kollegen von Erziehungs- oder Suchtberatungsstellen oder an die
psychosozialen Dienste weiter. "Die Gesellschaft entwickelt sich so
rasant, dass es schwer fällt mit dem Tempo mitzuhalten. Eltern fragen
sich, was ihre Kinder in Chat-Räumen machen und ob die Beschäftigung
mit bestimmten Computerspielen nicht schädlich ist. Solche Fragen
brauchte sich früher niemand zu stellen", sagt die 31-Jährige. "Ich
glaube, dass es heute schwieriger als früher ist, Kinder zu erziehen."
* die Fälle wurden so verändert, dass die Anonymität gewahrt bleibt