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Diakonie-Mitarbeiter helfen besorgten Eltern

Keine Lust auf Mathe! Der letzte Anrufer des Elterntelefons spricht ein allgemein bekanntes Problem an. Sein neunjähriger Sohn, so berichtet er, sei eigentlich ein guter Schüler. Deutsch, Englisch, Sachkunde - alles kein Problem. Nur gegen Mathematik scheint er eine ausgeprägte Aversion zu haben, die sich bereits mit einer Vier minus auf dem ersten benoteten Zeugnis niedergeschlagen hat.
Der Vater bittet um Rat. Er möchte wissen, was er tun kann, damit sein Sohn mehr Lust auf das ungeliebte Schulfach bekommen kann. "Ich habe dem Mann empfohlen, dass er mit dem Sohn zunächst einen Kinderpsychologen aufsuchen sollte. Womöglich liegt bei dem Jungen ja eine Dyskalkulie - eine angeborene Rechenschwäche - vor", sagt Yvonne Schuldt. "Außerdem ist es sinnvoll, mit der Klassenlehrerin in Kontakt zu treten."

Kostenlose Hilfe für gestresste Eltern

Die Diplom-Sozialpädagogin ist eine von zehn ehrenamtlichen Helfern des ersten Berliner Elterntelefons, das seit November 2008 gestressten Eltern anonyme und kostenlose Hilfe bietet. Ins Leben gerufen wurde diese Beratung vom Diakonischen Werk Berlin.
Mehr als 40 000 Mal kamen die meist ehrenamtlichen Mitarbeiter der deutschen Elterntelefone im vergangenen Jahr zum Einsatz. Über eine bundesweit geschaltete "Nummer gegen Kummer" konnten Berliner Eltern schon vorher Trost oder Unterstützung in Erziehungsfragen finden - allerdings landeten sie dann bei einer Beratungsstelle in Meißen. Jetzt werden die Anrufer aus dem Berliner und Brandenburger Raum automatisch an die Diakonie-Mitarbeiter an der Schönhauser Allee weitergeleitet. "Es hebt die Qualität der Beratung, wenn die Mitarbeiter vor Ort sind", sagt Maria El-Safti-Jütte, eine der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Diakonischen Werks und beteiligt an der Einrichtung des neuen Elterntelefons. "In einer Stadt gibt es andere Probleme als auf dem Land. Eltern sind beispielsweise oft ängstlich, wenn ihre Kinder alleine U-Bahn fahren wollen oder Mitglied in einem Sportverein in einem anderen Stadtteil werden möchten."
Das Team in der Schönhauser Allee betreibt seit 2002 das Kinder- und Jugendtelefon. "Wir bekamen immer wieder von den Teenagern zu hören, dass Ihre Eltern sie überhaupt nicht verstehen und keine Ahnung von ihren Sorgen und Nöten haben", sagt sie. "Irgendwann kamen wir zu dem Schluss, dass ein Elterntelefon genauso wichtig ist, wie ein Jugendtelefon."

Häufig stundenlange Gespräche

Der Raum, in dem Yvonne Schuldt etwa dreimal im Monat ihren ehrenamtlichen Dienst versieht, ist schlicht aber freundlich eingerichtet. An einer Wand hängt ein buntes Poster mit einer Sonne und der Aufschrift "Let the sunshine in", an einer anderen Wand steht ein Sofa, auf dem die Helfer ausruhen können, wenn das graue Telefon gerade schweigt. Die Gespräche mit den besorgten Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten dauern nicht selten bis zu einer Stunde. Oft geht es um ganz alltägliche Fragen. Wie lange darf eine 14-jährige mit Freundinnen ausgehen? Was kann man tun, wenn sich ein Fünfjähriger nachts im Dunkeln fürchtet? Hin und wieder erreichen die Mitarbeiter jedoch auch Anrufe, die selbst Profis wie Yvonne Schuldt und Maria Jütte erschüttern. Vor kurzem berichtete ein Mann von seinem Patenkind, einem 10-jährigen Mädchen, das regelmäßig von seiner völlig überforderten Mutter misshandelt und vernachlässigt wurde. Der Körper des Mädchens war mit blauen Flecken übersät, ihre schulischen Leistungen hatten stark nachgelassen. Vor einigen Monaten war der Vater des Mädchens bei einem Unfall gestorben, die Mutter litt unter psychischen Problemen und verlor langsam die Kontrolle über ihr eigenes Leben und den Haushalt.
"Der Anrufer war selbst Lehrer und sehr besorgt - aber auch sehr vorsichtig", berichtet Yvonne Schuldt. "Er wollte dem Mädchen unbedingt helfen, hatte aber Angst, dass sich die Lage dramatisch verschlimmern könnte, wenn das Jugendamt eingeschaltet wird." Der Rat der ehrenamtlichen Helferin an den verzweifelten Mann war, dass er sich umgehend an ein Kinderschutz-Zentrum in der unmittelbaren Nähe wenden sollte. "Dort kennen die Mitarbeiter die Gegebenheiten vor Ort und können besser und gezielter beraten", sagt sie.
Die Mitarbeiter des Elterntelefons verstehen sich als erste Anlaufstelle in Notsituationen und verweisen häufig an Kollegen von Erziehungs- oder Suchtberatungsstellen oder an die psychosozialen Dienste weiter. "Die Gesellschaft entwickelt sich so rasant, dass es schwer fällt mit dem Tempo mitzuhalten. Eltern fragen sich, was ihre Kinder in Chat-Räumen machen und ob die Beschäftigung mit bestimmten Computerspielen nicht schädlich ist. Solche Fragen brauchte sich früher niemand zu stellen", sagt die 31-Jährige. "Ich glaube, dass es heute schwieriger als früher ist, Kinder zu erziehen."
* die Fälle wurden so verändert, dass die Anonymität gewahrt bleibt